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THEMA: Mensch, Schiri!

Mensch, Schiri! 16 Nov 2013 13:28 #1

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Ich quäle mich aus dem Bett. Oh Mann, habe ich schlecht geschlafen. Kein Wunder. Erst mal einen Kaffee machen und eine Kleinigkeit essen. Vielleicht sieht alles dann wieder besser aus. Heute Abend muss ich voll da sein. Ich darf mir keinen Fehler erlauben. Meinen Linesmen wird es ähnlich ergehen und doch trage ich die Hauptlast. Immer bin ich schuld, dabei treffe ich doch nur menschliche Entscheidungen. Natürlich decken die Fernsehbilder oftmals meine Fehler auf, doch liegen Sie mit Ihren Einschätzungen von einer Sekunde auf die andere immer richtig?

Heute Abend ist die Hütte voll und egal welcher Pfiff auch ertönt, immer werden Zuschauer damit unzufrieden sein. Es gibt nur selten einfache Spiele. Ich bin kein arroganter Schiedsrichter und doch würde ich die eine oder andere Provokation gerne mal erwidern. Ich muss mich fest im Griff haben, denn Menschlichkeit hat hier nichts zu suchen.

Mein Gott, was habe ich schon Feuerzeuge aufgehoben. Auch der eine oder andere Becher ist bereits auf dem Eis gelandet. Die Gummihühner waren ja wenigstens noch lustig. In der Presse heißt es dann so lapidar: „Das Publikum machte seinem Unmut Luft!“. Denkt hier irgendwer noch an mich. Die Fehlentscheidungen des Publikums kreidet niemand an. Tausende gegen Einen. Ist das fair?

Dabei bin ich doch selbst nicht anders. Wenn ich mir ein Spiel ansehe, dann rege ich mich auch auf. Dennoch habe ich mir ein gewisses Maß an Beherrschung bewahrt. Ich habe mehr Verständnis für Fehlentscheidungen, seit ich diesen Job mache. Beleidigungen lassen mich ohnehin kalt, aber eine Bierdusche muss ich mir nicht bieten lassen. Ich bin ein erwachsener Mann und doch werde ich von Teenagern beschimpft. Verrückte Welt. Dabei ist es einfach nur Sport. Alle reden von Fairness und trotzdem kommen einem aufgeregten Anhänger viele böse Worte ganz leicht über die Lippen. Ich kann natürlich oft den Ärger verstehen. Jeder Fan will nur das Beste für den Verein. Da wird keine Rücksicht auf so einen dahergelaufenen Unparteiischen genommen, der sowieso nur alle bescheißt.

Lob ernte ich für meine Arbeit nie. Wenn ich unauffällig bin, dann bin ich überragend. Meistens ist es aber anders. Viele Zuschauer stimmen mir bei meinen Entscheidungen zu. Für andere Anhänger war alles falsch und ich habe die Niederlage verschuldet. An der Mannschaft liegt es ja ohnehin nie.

Ich habe noch gar keinen Fuß auf das Eis gesetzt und werde schon ausgepfiffen. Ich wirke fast zwergenhaft im Vergleich zu den riesigen Eishockeyspielern. Dabei bin ich in diesem Sport auch kein Schlechter. Nicht viele Leute können so gut Eislaufen wie ich, aber meine Fähigkeiten interessieren hier keinen. Die Zebrastreifen machen mich zum schlechten Menschen und die Pfeife ertönt selbstverständlich immer im falschen Moment. Die roten Streifen machen alles nur noch schlimmer. Dabei riskiere ich meine Gesundheit für diese Arbeit. Wie oft bin ich schon vom Puck getroffen worden. Wenn ich umgefahren werde, werde ich ausgelacht. Meine Linesmen müssen sich sogar oftmals in die kämpfende Meute werfen. Das wirkt natürlich immer lächerlich, das sehe ich ein. Aber es ist unser Job und wir versuchen alles, um diesen zu erfüllen.

Auch die Spieler gehen nicht immer nett mit uns um. Was habe ich mir schon für Schimpfwörter anhören müssen. Manchmal reicht es mir auch und ich schicke einen in die Kühlbox. Diese Entscheidung sorgt natürlich für noch mehr Hohn und Spott, dabei hat keiner gehört, was der zu mir gesagt hat. Manche können sich eben alles erlauben.

Das Spiel beginnt und es läuft eigentlich ganz gut. Dann kommt ein Schlagschuss und alle sehnen das Tor herbei. Es folgt ein Torjubel und doch behauptet der Goalie, der Puck sei noch vor der Linie in seiner Fanghand gelandet. Ich stand nicht gut. Es war ein schneller Angriff und der Puck hat plötzlich mein Sichtfeld verlassen. Was mache ich nur. Ich habe nur ganz kurz Zeit, meine Entscheidung zu treffen. Einen Videobeweis gibt es hier noch nicht. Tor oder nicht? Scheiße, keiner kann mir helfen und alle starren mich an. Ich bekomme Gänsehaut und greife auf die einfachste Lösung zurück. Ich berate mich mit meinen Kollegen. Beide haben nichts gesehen. Na klar, war ja auch meine Aufgabe. Wenn ich mich gegen das mögliche Tor entscheide, dann ist hier die Hölle los. Entscheide ich mich dafür, dann bin ich der Held, doch damit tue ich womöglich dem kleinen Häufchen Gästefans unrecht. Eigentlich muss ich ehrlich sein und meinen Prinzipien treu bleiben. Ich habe es nicht richtig gesehen und kann nicht auf Tor entscheiden. Einen Mittelweg gibt es nicht.

Ich folge meinem Bauchgefühl, welches mir doch Bauchschmerzen bereitet. Ich strecke die Arme weit auseinander und sorge für einen kurzen Moment der Stille. Dann bricht das Unheil über mich herein. Ehrlich währt eben nicht immer am längsten. Für das Publikum in diesem Stadion bin ich für die nächste Stunde der schlimmste Mensch auf Erden. Ich habe ein dickes Fell und doch kann ich meine Narben nicht verstecken. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Dieser Satz kann vernichtend sein.

Meine Freunde sagen immer, ich hätte eben einen anderen Beruf erlernen sollen, doch irgendwer muss das schließlich machen. Meinen Kollegen geht es auch nicht anders. Wenn ich um Verständnis werben will, werde ich belächelt. Einen maschinellen Schiedsrichter will keiner, sonst gäbe es nichts zu diskutieren. Ich habe mir noch nie etwas zu Schulden kommen lassen und doch bin ich ein Dieb. Einem stehle ich die Punkte, während ich sie dem nächsten schenke. Nach jedem Jahr will ich aufhören, doch die Sommerpause glättet die Wogen. Ich fahre vor jedem Spiel unzählige Kilometer. Nur, um mich einer schwierigen Situation zu stellen. Meiner Frau tue ich immer Leid und sie begleitet mich zu kaum einer Partie. Irgendwie bin ich froh darüber, denn oftmals schäme ich mich für meine Rolle in diesem Spiel.

Dennoch teile ich auch etwas mit den Fans: Die Liebe für den Eishockeysport. Vielleicht finden wir ja irgendwann einmal zueinander. Bei einem Gläschen Bier lässt sich über alles reden. Noch ist es nicht so weit. Viele Spiele stehen noch vor mir. Der Ablauf ist immer gleich. Wenn ich mich in der Kabine umziehe und das Publikum höre, dann erhöht sich der Puls. Nach gut zwei Stunden ist alles vorbei und der Ballast fällt von mir ab. Ich setze mich ins Auto und höre entspannende Musik. Meine Gedanken kreisen um das Spiel. Ich bin mir sicher: Bald höre ich damit auf. Wahrscheinlich kann ich es ja doch nicht.
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Aw: Mensch, Schiri! 16 Nov 2013 13:31 #2

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Sehr sehr gut geschrieben. :)
Das trifft den Punkt den wir im Sport außerhalb des Kopfes eines Schiedsrichters nicht sehen.
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AW: Mensch, Schiri! 16 Nov 2013 13:37 #3

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Michl, mit den meisten deiner Texte kann ich nicht viel anfangen (diese Maulwurf-Geschichten meine ich) aber das dort oben ist einfach nur überragend. Probiers und schick ihn an ein paar Zeitungen.
Morgen vor einer Woche war Robert Enkes vierter Todestag. Jeder sollte seine Biografie lesen, da findet man manches wieder was du schreibst. Keinen Fehler gemacht und trotzdem der Arsch gewesen. Kind gestorben und am Wochenende deswegen verspottet.
Ich gebs zu, ich schrei selber immer am lautesten, wenn mir eine Schiri-Entscheidung nicht passt, aber hin und wieder sollte man schon mal kurz durchschnaufen und dran denken, dass der Kerl da unten auch nur ein Mensch ist, Selbstdarsteller oder nicht.

Gesendet von meinem Samsung Galaxy S3 via Tapatalk
NIX SCHMECKT OHNE HÄNDLMAIER-SENF
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Aw: Mensch, Schiri! 17 Nov 2013 00:15 #4

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wie war, wie war, wie war......!!!!!!!!!!!!!

Hey Michl, Du hast mit Deiner Gschicht wieder einmal den Nagel so etwas auf den Knopf getroffen, dass es besser ned mehr geht.......!!!!!!!!!!!!!!!!!

Danke und ich freu micht getz schon auf Deine nächste Gschicht rund um den EVR::
Gruß aus B11
Driver1
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